Der Rath-Amp Model 103 ist eingetroffen und ich habe ihn gestern zusammen mit einem befreundeten Drummer im Proberaum gegen meinen Rath-Amp Twister antreten lassen. Das war echt aufschlussreich, weil die Amps sich in vielen Aspekten ähneln, aber dann doch in klanglichen und spielerischen Details signifikant unterscheiden. Man hört Jürgen Raths "Handschrift" ebenso wie die unterschiedlichen Klangspektren, die diese Amps bedienen sollen. Den Twister besitze ich schon eine Weile, aber der Direktvergleich mit dem Model 103 hat mir sehr geholfen, den besser einordnen zu können.
Erste Impressionen:
Der Twister hat einen vollen, warmen Cleansound, der etwas zur Kompression neigt. Dieses gutmütige Verhalten lässt sich auf Bandpegel auch nicht wirklich rausregeln. Das Spielgefühl geht in die Richtung eines Fender-Amps am "Arbeitspunkt" - es trägt, federt und der Amp geht bei einem harten Anschlag für einen winzigen Moment in die Knie. Für meinen Geschmack fühlt der Amp sich schon etwas zu "aufgerissen" an, aber ich denke, viele mögen das.
Im Zerrkanal setzt sich das fort. Der Amp klebt bei allen Gain-Einstellungen ziemlich an den Fingern. Auch in Sachen Gain packt er schon früh im Regelweg ordentlich zu. Offenes Rhythmusspiel ist nicht die Stärke des Twister, aber sahnige Leadsounds und druckvolle Riffs macht er mit Bravour. Ich denke da am ehesten an einen frühen Mesa Mark, aber deutlich (!) weniger matschig als z. B. der für einen Mark I typische, sehr sustainreiche Santana-Sound.
Hervorzuheben ist das gelungene Voicing des Amps und die gut gewählten Regelwege der Equalizer. Es ist wirklich schwer, den Twister so einzustellen, dass er in der Band nicht funktioniert. Gleichzeitig muss man mit den Bass- und Höhenreglern schon sehr aggressiv umgehen, damit der Amp untenrum matscht oder obenrum nervt. Set and forget!
Der Model 103 klingt offener als der Twister. Auch der Kompressionsgrad im Signalweg ist geringer und damit ist das Spielgefühl härter, aber für mich auch etwas expressiver. Stark vereinfacht kann man den Twister-Cleansound ins amerikanische und den 103-Cleansound ins britische Lager stecken, obwohl Nachahmung wahrscheinlich nie Teil von Herrn Raths Plan war.
Fakt ist: Der 103 liebt meine Pedals deutlich mehr als es der Twister tut. Dieser offene, unkomprimierte Charakter lässt die Zerrer so arbeiten, wie ich das hören will. Mein ganzes Board ist aber auch auf einen eher harten, unkomprimierten Cleansound ausgelegt. Es gibt sicherlich auch Boards und Herangehensweisen, die mit dem Twister besser funktionieren.
In Sachen Zerre steckt im 103 eine ganze Menge mehr als im Twister. Der Edge-Regler und Attack-Schalter ermöglichen eine klangliche Feinabstimmung, die der Twister nicht zulässt. Der Zerrcharakter ist rauer und offener und gefällt mir subjektiv besser als der des Twisters. Die Gainreserven sind auch hier, vor allem mit zugeschaltetem Boost im Kanal B, utopisch hoch.
Auch der 103 punktet mit praxistauglichen EQ-Regelwegen und einem bandtauglichen Voicing. Präsent, in your face, aber nicht nervig. So mag ich das.
Ich hatte erst vor, den Model 103 auch mal als Pseudo-Vierkanaler (Kanal A und B, jeweils mit Boost) in der Band zu benutzen. Der Boost im Kanal A wärmt den Cleankanal leider zu sehr an, als dass ich das effektiv tun könnte. Da kommt zwar ein schöner Crunch raus, aber der hat mir dann zu wenige Höhen. Gerade mein leichter Crunchsound muss Brizzeln und Klingeln. Sehr schade. Als Zweikanaler mit Gainboost im Kanal B könnte ich mit dem Model 103 aber auf jeden Fall glücklich werden. Das klingt schon super...
Beide Amps haben reichliche Leistungsreserven, auch für laute Bühnen. Der Twister ist subjektiv aber eine ganze Ecke lauter als der Model 103, dafür aber auch etwas größer und schwerer. Beide Amps sind, gemessen an ihrer Leistung, angenehm leicht.
Dass die alten Raths immer noch vorne mitspielen, ist hier im Thread ja eh Konsens, der 103 hat mich gestern aber echt umgehauen und ich warte sehnsüchtig auf die nächste, richtige Probe. Leider erst nächsten Monat, der Herr Drummer ist verreist...