Batz, deine Kritik ist in weiten Teilen zutreffend, und gerade ich bin leidenschaftlicher Kirchen- und Religionskritiker, und den Glaubensbegriff finde ich äußerst problematisch. Außerdem bin ich kein so arrogantes Arschloch, dass ich religiöse Metaphorik verwenden würde.
Dennoch, aus Freude an der vertiefenden Diskussion von Dingen, die mich interessieren, muss ich nachfragen:
Batz Benzer hat geschrieben:
Hier ein paar Beispiele aus den von Dir genannten Wissensgebieten, die der These der nicht möglichen objektiven Wahrnehmung widersprechen:
Das perfekte Gehör zum Beispiel: Hier werden Töne von entsprechend beganten Individuen vollkommen gleich wahrgenommen (Biologie).
Worauf gründest du die Annahme, dass zwei Individuen tatsächlich "Töne vollkommen gleich" hören? Oder meintest du nur "Tonhöhe"?
Oder Synästhesie: Hier assoziieren bestimmte Individuen unabhängig voneinander gleich (Psychologie).
Daraus, dass eine Teilgruppe von Individuen gleich assoziiert ()Beispiele wären interessant), leitest du warum genau ab, dass es objektive Wahrnehmung gibt?
In der Philosophie fallen mir spontan Platon und Kant ein, die beide mit der objektiven Wahrnehmung aufgrund von absolutem Vorwissen operieren; ansonsten wären z.B. der kategorische Imperativ wie das Höhlengleichnis nicht haltbar (u.a. Stichwort: a priori / a posteriori).
Gerade das Höhlengleichnis ist doch ein Beleg dafür, dass wir eben
nicht fähig sind, die Dinge so wahrzunehmen wie sie sind. Das ist geamte IDEE des Höhlengleichnisses - nur Schatten an der Wand sehen wir, nicht die Gegenstände, die den Schatten werefn, nicht das Feuer, das das Licht erzeugt.
Und Kant hat mehr als alle anderen - vor allem in "Kritk der reinen Vernunft" - bewiesen, dass der Mensch zur verlässlichen Erkenntnis der Realität nicht in der Lage ist.
Gerade Kant beschrieb (ich meine als erster) die unüberwindliche Subjektivität aller Erkenntnisbegriffe.
Der kategorische Imperativ ist schon hundertmal als praktisch letztlich nicht umsetzbar erkannt worden, dazu gibt es beliebig viele Dilemmageschichten, das Netz ist voll davon. Ist auch egal, dass Kant seit langer Zeit tot ist, ist ganz gut so. Es liegt viel Staub drauf.
Heute - in der Zeit der Neurowissenschaften - wissen wir längst, dass es nicht nur täuschungsfreie Wahrnehmung nicht geben kann, sondern dass selbst der freie Wille und der Ich-Begriff intrapsychisch erzeugte Illusionen sind. Welcome to the Matrix. Im Zentrum der Wahnehmung eines jeden, der gerade auf diesen Monitor hier schaut, ist ein blinder Fleck, in den das Auge genau gar nichts sieht. Das Gehirn "rechnet" die fehlende Information einfach dazu - in diesem und vielen anderen Beispielen wird klar, dass Wahrnehmung immer Konstruktion ist. Selbst der Realitäts
begriff basiert auf Annahmen, niemand kann verlässlich sagen, ob es Realität überhaupt gibt, und ab und zu, wenn wir aus dem erwachen, was wir intensive Träume nennen, dann merken wir das auch - wir brauchen einige Augenblicke, bis der (immer konstruierte) Realitätsbegriff wieder die Oberhand gewinnt. Eben flohen wir noch vor großbrüstigen Groupies, die alle nur unseren Körper wollten, und auf einmal nehmen wir uns als in einem dunklen Zimmer liegend wahr. Ohne Groupies.
Es gibt aber Hoffnung. Die Tatsache, dass wir Sinnestäuschungen durchschauen, dass wir erkennen und wissen, dass wir eben nicht zur unverfälschten Wahrnehmung von Realität in der Lage sind, zeigt, dass wir unseren cortikalen Strukturen, unvollkommenen Rezeptoren und neuronalen Unzulänglichkeiten nicht ausgeliefert sind. Wir werden nicht als passive Opfer von unserem Gehirn determiniert, sondern können erkennen, was wir nicht erkennen können.