Die Nacht der schreienden Röhren! - 6 x Ibanez Tube Screamer

Besprechungen von getestetem Gitarren-Equipment
Antworten
Benutzeravatar
Batz Benzer
Beiträge: 19384
Registriert: Montag 13. Oktober 2014, 18:18
Wohnort: Sonic Marshall City

Die Nacht der schreienden Röhren! - 6 x Ibanez Tube Screamer

Beitrag von Batz Benzer » Dienstag 21. Oktober 2014, 23:01

6 x Ibanez Tube Screamer im Vergleich: TS5 Standard, TS7 Standard, TS5 808Mod, TS7 BigThick-Mod, TS7 TS808 Brown-Mod & TS7 mit Keeley-Mod. Außer Konkurrenz: Digitech Bad Monkey.

In der bunten Glitzerwelt der Gitarren-Verzerrerpedale gibt es viele Legenden, doch die meisten ranken sich mit absoluter Sicherheit um den Tube Screamer der Firma Ibanez, dessen Ur-Version, der TS808, als Klangwerkzeug u.a. auch für den amtlichen Stevie Ray Vaughan-Sound verantwortlich zeichnet. Es gibt viele Nachfolger aus dem eigenen Hause und noch mehr Kopien, der Tube Screamer dürfte mit Abstand der meist verkaufte und am meisten verbreitete Zerrer überhaupt sein.

Die erste Inkarnation hörte auf den schönen Namen TS808, der Nachfolger war der TS9, Mitte der 80er abgelöst durch den TS10. Die Soundtank-Serie der 90er brachte ebenfalls einen Tube Screamer, den TS5, hervor, und auch in der aktuellen ToneLok-Serie von Ibanez findet sich mit dem TS7 wieder ein röhriger Schreihals; allen ist eine unproblematische Nicht-True-Bypass-Schaltung sowie dieselbe Klangregelung - Gain, Tone, Level – zueigen.

Diese diversen Versionen unterscheiden sich a) voneinander in der Schaltung sowie b) sogar untereinander durch die Verwendung diverser Chips (was bedeutet, dass zwei TS derselben Serie keinesfalls identisch klingen müssen!) wie anderer differierender Bauteile; als „heiliger Gral des TS-Sounds“ gilt der JRC4558D, dicht gefolgt vom ebenfalls im TS808 erstmals verwendeten RC4558P aus dem Hause Texas Instruments; in unseren Testmodellen kommen beiderlei zur Anwendung.

Apropos: Mit dem TS5 und TS7 – beide werksseitig mit dem JRC4558D ausgestattet - liegen zwei Standard-Modelle zum Test vor, ergänzt um drei in Deutschland gemoddete Pedale, dem TS5 mit TS808-Mod (ebenfalls JRC4558D), dem TS7 mit BigThick-Mod (TI RC4558P) sowie einem nach Keeley getunten TS7 (original Maxon-JRC4558D von 1979); aus den USA gesellt sich der TS7 mit TS808 Brown Mod (JRC4558D, TI RC4558P zum Austausch beiliegend) hinzu.

Soviel zur Theorie; das Internet bietet demjenigen, der sich gerne genauer informieren mag, ausreichend Informationen, dem versierten Techniker seien überdies die entsprechenden Beiträge der in Gitarre & Bass erschienenen Kolumne „Effektiv“ von Bernd Meiser ins Herz getackert.

Jetzt aber ran an den Klangspeck, beginnend mit dem TS5 Standard: Hier könnte der Test auch bereits mit ruhigem Gewissen enden. Ja, es ist ein Tube Screamer, der sich klanglich eben auch entsprechend verhält: Leichte Ausdünnung des Bassbereichs, Anhebung der, im positiven Sinne, topfigen Mittenfrequenzen sowie cremige Höhen sind zu vermelden; die Zerrung gesellt sich harmonisch zum Klangbild der Gitarre hinzu. Das klingt nach Röhre, aber nicht nach Amp-Zerre; hierfür fehlt es an Neutralität im Klangbild, da Bässe und untere Mitten fehlen und das Höhenbild es an entsprechender Transparenz vermissen lässt. Und genau dieses Klangverhalten ist es, was Liebhaber am Tube Screamer so zu schätzen wissen: Ein dynamischer, vor allem aber harmonischer Lo-Gain-Zerrsound mit feinem Obertonaufkommen; Dittsche würde sagen, dass es perlt.

Halte ich den mit TS808-Mod versehenen TS5 dagegen, passiert folgendes: Die Bässe sind noch ein wenig stärker ausgedünnt, was bei Solo-Linien auf dem Hals-PU einer Strat für sehr angenehme Transparenz sorgt und sofort an SRV erinnert! Außerdem gesellt sich ein cremiges Schmatzen in den oberen Mitten hinzu, welches schlicht als musikalisch oder magisch zu bezeichnen ist: Auch ist hier das Obertonaufkommen noch einmal spürbar angehoben, das Pedal interagiert feiner mit dem Gitarristen, ist „luftiger“ als alle anderen Mitbewerber im Testfeld.

Springen wir zum TS7 in der Standard-Ausführung: Dieser tendiert wieder stärker zum TS5 ohne Modifikation, hat einen stärker ausgeprägten Bassbereich, die Mitten rutschen etwas in den unteren Bereich, was ihn insgesamt kräftiger, bissiger und präsenter erscheinen lässt; kommt der TS5, ob getuned oder nicht, eher nach dem TS8080, erinnert mich der TS7 mehr an den TS9, wenn man denn die altvorderen Originale als Vergleich bemühen mag. Auch ist er etwas dynamischer, dafür eben nicht ganz so „sahnig“ und sustainig-tragend wie beide TS5; er „nöckt“ etwas mehr in den Mitten. – Den „Hot“-Mode lasse ich hier, wie auch bei den noch folgenden TS7-Varianten, der Vergleichbarkeit halber außen vor.

Mit sehr heller blauer LED meldet sich der in Deutschland nach USA-Pedal-Tuning-Legende Robert Keeley gemoddete TS7 zum Dienst: Sofort fällt auf, dass sich das Klangspektrum nach oben wie unten herum öffnet, der Ton wird größer und transparenter, verliert dadurch aber auch ein wenig des klassischen TS-Charakters, was viele, die den Tube Screamer als zu mittig-topfig, plastikhaft empfinden, freuen wird. Auffällig ist ebenfalls, dass Gain merklich zugelegt hat, als Clean-Booster ist er jedenfalls nicht zu gebrauchen: Das, was die Mitbewerber um Gainstellung 10-12h freimachen, bietet dieses Pedal bereits bei Nullanschlag! Die Creme-Haube des nach TS8080 getunten TS5 sucht man hier vergeblich, dafür lässt es sich deutlich härter rocken; das Ding hat Kante! Ein weiterer Vorteil: Das Tone-Poti gibt über den gesamten Regelweg Sinn und macht den Treter somit zum flexibelsten Klangwerkzeug aller angetretenen Ibanez-Pedale.

Der TS7 mit „Big Thick“-Mod - der erste Treter im Test, der sich eines anderen Chips, nämlich des TI RC4558P, bedient - hebt sich von den Mitbewerbern optisch durch die grüne LED ab. Und beileibe nicht nur optisch: In der Tat ist der Name Programm, der Ton legt im Spektrum zwischen Bass und unteren Mitten gewaltig zu, ist wirklich richtig fett! Dies überträgt sich bis in den Hochmitten- und Höhenbereich, der immer sirupartig dick daherkommt und den Treter wieder ein Stück näher an Fullrange-Ampverzerrung heranträgt. Dies dezimiert aber wiederum das typische Mittenbild eines Tube Screamers; wer ein solches Klangverhalten sucht, wird hier bestens bedient, zumal sich dieses Pedal wie kein zweites im Test auch zur Verfeinerung des Clean-Sounds eignet. Mit höherem Gain kommen dann Zerrfarben ins Spiel, wie wir sie bislang noch nicht zu Ohren bekommen haben: Es „knurrt“ viel mehr als dass es schreit, der Bassbereich kann dabei, je nach Spielweise und Instrument, in der Zerrung abbrechen, wie man es von alten Plexi-Marshalls kennt, was dem einen evtl. etwas zu unrund, dem anderen herrlich-britisch erscheinen mag – wiederum eine Frage des Geschmacks und Bedarfs. Weniger eine Frage derselben: Die Effizienz des Tone-Potis geht in dieser Version gegen Null, brauchbare Sounds erhält man erst ab ca. 15h, darunter herrscht, um das tumbe Klischee zu bemühen, Jazz. Dafür passiert dann alles auf den letzten Metern; bei Vollanschlag des Reglers entspricht der Höhengehalt in etwa den Mitbewerbern zwischen 14-15h, was wiederum den meisten vollkommen ausreichen dürfte und somit kein Nachteil sein muss. Beim Volumen gibt es im ersten Drittel einen Sprung, dem aber mit Fingerspitzengefühl beim Einstellen beizukommen ist.

Springen wir über den großen Teich: Frisch aus den USA liegt ein TS7 mit TS808 Brown Mod vor mir, um sich mit den anderen Schreihälsen zu messen. Hier kündet eine violette LED von der Inbetriebnahme des Soundaggregats, welches einmal mehr auf den klassischen JRC4558D-Chip setzt. Klanglich stellt es eine Art Fusion aller guten Eigenschaften des nach Keeley gemoddeten TS7, des „BigThick“-TS7, des Standard-TS7 sowie des nach TS808 getunten TS5 dar, die negativen bleiben außen vor; ich würde es ohne mit der Wimper zu zucken als „Best Of“-Pedal bezeichnen: Obwohl es einen ausgeprägteren und breiteren, weichen Bassbereich hat, ist es auch in den tiefen Frequenzen so durchsichtig wie der TS808-Klon auf TS5-Basis (von dem er sich ebenfalls ein klein wenig Creme-Haube klaut); es hat die Frische des „Keeley“-TS7 und den Mittennöck des ungemoddeten TS7. Darüber hinaus hat es den überzeugendsten, da gleichmäßigsten Regelweg in Gain wie Level. Alles perfekt also, die anderen Probanten ab in die Altscreamertonne? – Mitnichten und –neffen, für den ein oder anderen wird dies Pedal vielleicht zu charakterlos, zu wenig ausgeprägt in die erwartete Klangrichtung tönen; hier greifen die „Extreme“ (wir reden hier von minimalen Soundabweichungen, die bisweilen vom Geräusch wachsenden Grases übertönt werden und z.B. im Live-Geschehen untergehen werden) in Form der Konkurrenten je nach Neigung besser.

Soweit so gut; jetzt gilt es, etwas ketzerisch einen Digitech Bad Monkey dagegenzuhalten; dieser ist als preiswerter und flexibler Tubescreamer-Epigone bekannt, der sich vom Testfeld bereits durch die Regelbarkeit unterscheidet: Statt des einzelnen Tone-Pots gibt es hier jeweils ein Poti für Bässe und Höhen. Und dies ist in der Tat ein herausragender Unterschied, da der böse Affe somit auch in der Lage ist, Fullrange-Zerrsounds anzubieten, die vergleichsweise stark nach Amp tönen. Und solange Gain nicht allzu weit aufgedreht ist, klingt das Digitech-Pedal auch richtig gut; mit mehr Verzerrung muss er dann ein wenig die Hosen runterlassen und kommt leider nicht ganz so harmonisch-rund, wie wir das von den Ibanez-Pedalen gewohnt sind: Die Magie des TS808-Sounds mag sich nicht einstellen; dafür ist es eben wesentlich vielseitiger. Gerade im Vergleich mit den getunten Tretminen braucht es sich nicht zu verstecken und überzeugt mit einem wirklich guten Preis-/Leistungsverhältnis.

Fazit: Wer den typischen Tube Screamer-Ton mit allen Vor- und Nachteilen sucht, der darf beruhigt auf das aktuelle Original zurückgreifen: Der TS7 klingt! Dasselbe gilt eingeschränkt auch für den TS5, der auf dem Gebrauchtmarkt zwar preiswert zu finden ist, aber so eine Art „Chip-Lotto“ darstellt: Was wirklich drin ist, weiß man erst, wenn man nachguckt!

Darüber hinaus: Der TS5 geht tendentiell eher in Richtung TS808, Kollege TS7 folgt eher dem TS9, der nicht ganz so cremig ist, dafür aber dynamischer und etwas aggressiver agiert.

Vom TS5 mit 808-Tuning mal abgesehen – dieser erfüllt sämtliche Vintage-Träume – stellen die gemoddeten Pedale allesamt Weiterentwicklungen dar, die mehr oder minder vom originalen Soundideal einen kleinen aber feinen Abstand halten. Oder anders gesagt: Der Traum, dem Originalsound einfach eine Schippe Bässe und vielleicht auch noch ein transparentes Höhenbild hinzuzufügen, zerplatzt jedes Mal insofern als damit die originäre klangliche Balance kippt und der Screamer sein Charakteristikum zumindest teilweise verliert – so auch zu beobachten im handverdrahteten und entsprechend limitierten Ibanez TS808HW von 2009; entweder oder.

Also keine eierlegenden Wollmilchsäue, dafür perfekt spezialisierte Fachkräfte für jeden Geschmack, aus denen sich jeder seine Lieblings-Rosine(n) rauspicken kann. Ich jedenfalls würde sie am liebsten alle behalten!

Bleibt mir nur noch, den überaus netten Kontakt zu den entsprechenden deutschen Tuning-Spezialisten zu erwähnen: Hier wird Kundenfreundlich- wie Verbindlich- und Verlässlichkeit noch groß geschrieben, was mir sehr angenehme Erfahrungen bescheren konnte: Danke und viel Erfolg weiterhin!!!

Bezugquellen:

TS5 w/TS808-Mod – unbekannt, da 2nd Hand erworben;

TS7 w/Modifiziert nach Keeley – eBay-Mitglied pupu1506

TS7 w/BigThick-Mod – gokarna(ätt)web.de, www.gokarna.de

TS7 w/Brown Mod – www.diecastelectronics.com
"Lennon was the soul of the Beatles, Harrison was the spirit, Paul was the heart, and Ringo was the drummer."

- George Martin

Antworten