MJM Sixties Vibe

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Batz Benzer
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MJM Sixties Vibe

Beitrag von Batz Benzer » Freitag 6. Mai 2022, 15:12

Der dienstälteste Schwurbelhobel in meinem Fuhrpark ist das MJM Sixties Vibe in der großen Ausführung; diese Gerätschaft made in Canada begleitet mich seit geraumer Zeit durch Leben und hat den großen Abverkauf nahezu sämtlicher anderer Univibes in den Nullerjahren unbeschadet überstanden, da es mir klanglich extrem am Herzen liegt.

Auch ist es eben jenes Vibe, das es auf mein großes Haupt-Effektboard geschafft hat; das ist wohl so ziemlich das größte Kompliment, das ich einem Pedal aussprechen kann. :pray01:

Das alleine wäre ja schon Grund genug, es Euch hier einmal vorzustellen; Anlass ist jedoch die Tatsache, dass ich es dank Tauschhandel jetzt ein zweites Mal in der kleinen Ausführung vorliegen habe, weil mich u.a. interessiert hat, ob es hier einen wahrnehmbaren Unterschied gibt oder nicht.

Daher stellt dieses Review also gleich einen Doppeltest beider Ausführungen dar: Meine Damen und Herren, mögen die Spiele beginnen! 8-)

Was die äußere Erscheinung anbelangt, verweise ich an dieser Stelle der Einfachheit halber mal auf den hier zu sehenden Schnappschuss und konzentriere mich auf die gemeinsame Peripherie:

Bild

Rückseitig finden sich In, Out sowie der 18V-Anschluss; auf der Oberfläche tummeln sich Volume- wie Intensity-Poti, ein Mini-Toggle zwecks Chorus/Vibrato-Wahl, eine im Takt blinkende Status-LED roter Farbe sowie der On/Off-Fußschalter.

Und das war es dann auch bereits; mensch braucht keinen Univibe-Führerschein, um mit beiden Apparillos parat zu kommen.

Wir gehen also gleich in medias res; da beide Sixties - so viel mag ich hier bereits vorweg nehmen und obige Fragestellung beantworten - zu ca. 95% deckungsgleich tönen, beschreibe ich zunächst einmal das allgemeine Klangbild.

Von allen echten Photozellen-Vibes ist dieses mit Abstand das am weichsten klingende; es agiert herrlich warm, dabei aber sehr transparent, der "Kaugummi-Effekt" ist hier extrem ausgeprägt und auf sanfte Art schön vokal. Keine dunklen Knödel-Mitten, die Herzschlag-Welle fließt wunderbar rund, verkneift sich alle Eckige und Harsche, so dass Harmonie und Wohlwollen vorherrschen. :sabber:

Somit ist die gewählte babyblaue Grundfarbe auch tatsächlich Programm: Rosa, Einhörner und verträumte Wattewolken hätten wohl ebenso gut gepasst, so Ihr versteht, was ich klanglich damit skizzieren mag. :D

Das ist Vibe-Phasing at it's very best; Throb ist zwar klar vorhanden, aber eben irre sanft und eher "chewy", so dass der Gitarrist sein Spiel bewusst oder unbewusst anpasst, um die Welle jeweils mitzunehmen, auf ihr zu surfen und somit eine musikalische Einheit mit der Modulation eingeht.

Dabei gibt es keine Verwechslungsgefahr mit einem Phaser; dafür ist besagte Welle zu flach im Frequenzspektrum und der Kurvenverlauf Genre-typisch unrund.

Liest sich bestimmt schwerst esoterisch, beschreibt das Timbre des Sixties Vibe aber so wohl am besten; zumindest finde ich keinen anderen, besseren Worte. :tuete01:

Das macht vor allem bei langsamen bis mittleren Geschwindigkeiten Sinn wie Spaß; lassen wir das Vibe schneller laufen, stellt sich kein "chop throb", sondern flinkes Wabern ein, was die ein oder den anderen gewiss enttäuschen könnte. Es ist jedoch eher zum Schwelgen denn "Hubschraubern" geeignet, und das gilt es zu akzeptieren. :thumbs:

Weiter oben sprach ich von Transparenz, die gerade auf der E6 begeistern kann; es klingt jedoch nicht glasig oder gar kristallin und ist stets von profunder Wärme geprägt. "Spitz" ist dem MJM-Vibe ein Fremdwort!

Das Volumen reicht bei Maximalauslastung für eben jenen minimalen Boost, den mensch kaum wahrnimmt, der dennoch für Durchsetzungsvermögen sorgt und den ich so begehre; überdies verhindert der Regelweg ungewollte Fehlanpassungen nach oben.

Bei alldem agiert das Sixties ohne ungewollte Nebengeräusche und klingt sowohl vor als auch hinter jeglicher Verzerrung angenehm.

So viel zu den Gemeinsamkeiten; spitzen wir die Lauschlappen und konzentrieren uns auf die Unterschiede:

So klingt die kleine Ausführung noch einmal wärmer und weicher, derweil der große Kasten etwas mehr Klangtiefe und eine etwas höhere Frequenzamplitude feilbietet; das könnte aber auch einfach den beiden Individuen, bzw. dem Feintuning geschuldet und nicht auf die Bauform zurückzuführen sein.

Zumal diese Differenzen auch nur im direkten A/B-Vergleich auffallen; spielt man nur eines, vermisst man zu keinem Zeitpunkt die minimal andere Ausprägung des Geschwists, da die Gemeinsamkeiten, die gemeinsame klangliche Identität zu groß ist.

Fazit: Warm, weich, rund, vokal, effektintensiv, organisch - das sind die Schlagworte, die das MJM Sixties Vibe wohl am zutreffendsten skizzieren!

Der ausgeprägt-fließende Kaugummi-Ton ist das Markenzeichen dieses Jahrzehnte alten Klassikers, der bis dato keinerlei Relevanz eingebüßt hat, aber eben schon eigene eigene Nische im Kanon der Univibe-Epigonen einnimmt.

Wer nervenzerfetzenden Kardio-Throb begehrt, wird hier kaum glücklich werden; allen Harmonie-Kuschlern hingegen taugt das Sixties wie sonst kaum ein Vibe. Und auch vom JHS Unicorn, welches glasiger daher kommt, versteht es sich abzusetzen.

Das Gerät kostet in seiner aktuellen Ausführung 345€, die ich durchaus für gerechtfertigt halte. :thumbs:

Lieben Gruß,

Batz. :smoke01:
"Lennon was the soul of the Beatles, Harrison was the spirit, Paul was the heart, and Ringo was the drummer."

- George Martin

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