Da ich mich derzeit mit einer Stimmbandentzündung plage und deshalb zu wenig Worteinheiten von mir gebe, benutze ich diesen Thread, um möglichst viele Worte in die Welt hinauszuposaunen….also KSM-Zeit (es kann etwas dauern, bis ich zum Thema des Threads komme…).
(und wie immer gilt: Das sind nur alles meine Gedanken ohne jeglichen Anspruch auf absolute Wahrheit o.ä.)
Wenn wir die Brettgitarre als System betrachten, geben wir mechanische Energie hinein und erhalten elektrische Energie.
Zunächst mal ist Quantität und Qualität der Energiezufuhr (ugs: Anschlag) und die Modulation der Schwinungsenergie der Saiten (ugs: "Tone" aus den Fingern) primär entscheidend für den Output unseres Systems. Das interessiert hier aber nicht.
Die physikalischen Komponenten des Sounds sind die
Attack und die Art und Weise, wie sich in der
Sustain- und Release-Phase (wer mit den Begriffen nichts anfangen kann: ADSR-Hüllkurve googlen) der Sound frequenzabhängig verändert, und in wie weit die Konstruktion der Gitarre darauf Einfluss nimmt.
Für die Attackphase ist die Härte des Materials am Übergabepunkt der Schwingung (= dort, wo wir greifen) entscheidend. Jeder härter das Material, umso mehr Attack nehmen wir wahr, weil weichere Hölzer mehr Energie aus der Impulsspitze nehmen als härtere Hölzer.
Harthölzer wie Ebenholz und Ahorn sorgen also für eine deutlich wahrnehmbare Attack als mittelharte Hölzer wie Palisander (
wobei Rio-Palisander wieder deutlich härter ist...man sieht, pauschale Aussagen bei natürlich gewachsenen Werkstoffen funktionieren nicht wirklich).
In der Sustain- und Releasephase spielt die
Resonanz des Holzes die entscheidende Rolle: Je resonanter das Holz, desto mehr Energie wird dem System für die Resonanz entzogen. Bei akustischen Gitarren ist viel Resonanz erwünscht, bei elektrischen Gitarren führt zu viel Resonanz zu einem dünnen Sound, weil ja der vom PU abgenommene Saitenschwingung Energie entzogen wird, um das Holz schwingen zu lassen (deshalb heißt der Holzblock, der die Resonanz bei der 335 verringert, auch Sustainblock). Resonanz fügt dem Sound also nicht Energie hinzu, sondern sie nimmt sie weg.
ABER:
Zu viel Resonanz ist auch doof, weil der Sound dann ein undefinierbarer Brei wird und sogar die Resonanzkatastrophe der Saitenschwingung droht. Außerdem ist die Resonanz auch frequenzabhängig, und diese
Frequenzabhängigkeit wird bei der Konstruktion der Gitarre eingesetzt, um den Sound zu formen, d.h. der Gitarrensound hängt davon ab, in welchen Frequenzbereichen die Gitarre stärker und in welchen sie schwächer resoniert.
Was heißt das nun für den Hals?
Die Resonanzfrequenz ist abhängig von der Masse/Dichte und der Steifigkeit des Holzes.
Das bedeutet in der Realität, dass nicht nur die Holzart, sondern auch die Dicke des Halses und die Wuchsart bzw. das Alter des Holzes eine Rolle für den Sound spielt.
In der Praxis bedeutet das, dass ein fetter Ahornhals mit U-Profil und etwa 50 Jahre alten, dicht gemaserten Holz durchaus wärmer klingen kann als ein dünner Ahornhals mit Palisandergriffbrett mit D-Profil, der aus 20 Jahre altem, schnellgewachsenem Holz ist. Eine Paula mit einem dichten Mahagonihals mit Rio-Palisanderboard und nur 3,5 kg Gewicht wird schlanker und attackreicher klingen als ihre Schwester mit schnellgewachsenem Mahagonihals, ostindischem (= weicheren) Palisandergriffbrett und 4,2 kg Gewicht.
Wie man sieht, ist nur die Holzart alleine nicht ausreichend, um über die Soundentwicklung einer Gitarre Aussagen zu treffen. Guckt euch die Maserung an, die Dichte und den Verlauf derselben. Guckt euch die Poren eines Palisandergriffbretts an, deren Dichte und Verteilung. Das sind die Dinge, auf die es ankommt. Bedenkt, dass ein verklebtes Griffbrett mehr Steifigkeit hinzufügt, und je dicker das Griffbrett ist, umso steifer wird die Gitarre (deshalb klingen Strats mit dickem Slapboard oft attackreicher als One-Piece-Maple-Strats).
Es ist (wie immer) der Mix der Komponenten, der den individuellen Sound des Instrumentes formt.
Eines noch (
ohne einen Grund zu liefern, mich zu kreuzigen, wäre dieses KSM nicht komplett ):
Der geneigte Gitarrist hat die Neigung, bei Bewertung des Sounds abhängig vom Hals eher die Augen zu benutzen: Helles Ahorn muss ja auch hellen Sound erbringen, während dunkles Palisander den Sound dunkler (=wärmer) machen muss. Und "schöne" weil stark gemaserte Hälse (also Riegel- Wölken- und Vogelaugenahorn) müssen (je nach Glauben) deutlich besser (Pornoholz-Fraktion) oder deutlich blöder (bloß-kein-Pornoholz-Fraktion) klingen. Im bösen kalten Licht der Physik sind das jetzt nicht unbedingt sonderlich fundierte Aussagen…
Und um ein Letztes und überhaupt nicht zum Threadtitel Passendes noch hinzuzufügen:
Die imho beste Lösung für schnelle Attack und differenzierten aber trotzdem dicken Sound ist es, ein gutes, dichtes Stück Ahorn in der Länge dreizuteilen, und mit dem mittleren Stück gedreht wieder zusammenzukleben und daraus den Hals zu machen. Durch die dreistreifige Konstruktion mit gedrehtem Mittelstück entsteht nämlich eine deutlich höhrere Steifigkeit, als die bei gewachsenem Hals jemals möglich wäre. Aus einem mir vollkommen unverständlichen Grund wird das aber seit der Norlinzeit bei G. als Makel betrachtet, obwohl seit jeher die 3 Spitzenmodell L5, Byrdland und Super400 genau so gebaut werden…und das kommt nicht von ungefähr, weil jedes hochwertige Streichinstrument von klassischen Stradivaris bis zu heutigen Premium Instrumenten genau diese Halskonstruktion aufweisen. Ich kann jedem nur empfehlen, mal eine 335artige Gitarre aus der Norlinzeit mit dreistreifigen Hals gegen eine heutige 335 mit zu jungem und zu weichem Mahagoni zu testen…wer da mit offenen Ohren drangeht, wird erstaunt sein, wie viel lebendiger und ausdrucksstärker die böse böse Norlin ist. Wie schade, dass das Fender immer zu aufwändig war...ich würde gerne mal eine Tele mit einem dreistreifigen Hals à la L5 hören...
Ach ja, ich spiele übrigens eine Strat mit einem Hals komplett aus Pao Ferro….
und eine mit einem Hals aus Wenge habe ich auch noch...
aber die zählt ja nicht, weil da ist ja ein Floyd-Rose drauf